Liebe LeserInnen!
Halloween liegt hinter uns.
Heute und morgen denken wir an geliebte Menschen, welche wir zwar nicht mehr sehen, jedoch spüren dürfen.
Vom Glück
Der Hampelmann sah aus dem Fenster, draußen tobte ein Hagelsturm, es prasselte an die Scheibe. So ein Glück, dass seine Freunde und er sich gerade noch ins Haus retten konnten. Es donnerte, blitzte und der Hagel macht innerhalb von wenigen Minuten die Wiese weiß. Schlichtweg Weltuntergang. Unser Freund presste seine Nase ans Fenster. Wie schnell sich alles ändern kann, zum Guten wie zum Schlechten, überlegte er. Manche Dinge, welche im Moment schrecklich schienen, sind nach einiger Zeit tragbar, ja sogar die Folgen sinnvoll waren, dachte er so bei sich, während er das Naturschauspiel beobachtete.
Doch es gibt Ereignisse, welche ein Leben lang ein Loch, eine tiefe Wunde hinterlassen. Der Verlust eines geliebten Menschen ist so ein Ereignis, welches einem immerfort begleitet. Sicherlich ändert sich der Schmerz, und nach einiger Zeit wird das Weinen zu einem stillen Lächeln, wenn man an den Verstorbenen denkt. Der Hampelmann hatte so einen Schmerz. Sein Onkel war gestorben und gerade so ein Gewitter erinnerte ihn daran, wie oft sie gemeinsam dieses Szenario beobachtet hatten.
Der Hampelmann wusste um die Liebe seines Onkels, welche er immer in sich tragen werde, aber er hätte noch gerne mit ihm so viel erlebt. Wie hatte er die Gespräche zu Zweit geliebt, die ihm jedes Mal ein Stück reifer werden ließen. Wie vermisste er die immer passende Wortwahl und den Humor den er schätzte. Ach, die Erinnerungen, die nur die Beiden wussten, jetzt hatte er niemanden mehr mit dem er sie teilen konnte.
Wo mochte nun sein Onkel sein? Spürte er ihn nicht? War er nicht bei ihm? Wieso träumte er nicht von ihm? Warum besuchte er ihn nicht? War der Hampelmann noch zu Schmerz erfüllt und daher blockierte sein Herz? Hatte er es noch nicht genügend realisiert, dass der ihm so Vertraute nie mehr durch die Tür kam und ihn herzlich anlachte. Wie unglücklich und unerträglich traurig unser Freund in diesem Moment war.
Das Gewitter legte sich langsam und die grüne Wiese wurde wieder sichtbar. Der Hampelmann öffnete das Fenster, die gereinigte, frische Luft drang an seinem Körper vorbei ins Zimmer. Herrlich, dachte unser Freund und beugte sich hinaus. Alles war ganz still, so als ob die Erde inne halten würde. Ab und zu hörte man einen Regentropfen auf den Weg fallen und vom warmen Boden stieg Dampf auf.
Schön, einfach nur schön, sprach der Hampelmann ganz leise zu sich. Da kam ihm ein Lächeln über die Lippen, in diesem Moment war er glücklich. Er stützte seinen Kopf in seine Hände, und verstand nun was sein Onkel immer meinte: “Glück ist, die glücklichen Momente sammeln.“ Ja genau so war es.
Sein Onkel war nun ganz bei ihm und irgendwie hatte der Hampelmann das Gefühl, sie hatten gerade ein inniges Gespräch, ohne Worte, einfach mit dem Herzen.
(Veronika Lippert)