Sehr geehrte Damen und Herren der Redaktion,
mit Sorge verfolgen wir als Elternwerkstatt [
www.elternwerkstatt.at] die aktuellen Berichte über jugendliche Intensivtäter und die begleitende Diskussion um eine mögliche Senkung des Strafmündigkeitsalters. Die Taten junger Menschen sind erschütternd – doch sie sind nicht losgelöst von den Lebensrealitäten dieser Jugendlichen zu betrachten. Sie verweisen auf komplexe biografische Hintergründe, systemische Versäumnisse und einen eklatanten Mangel an frühzeitiger Unterstützung für Familien.
Anstatt ausschließlich auf strafrechtliche Verschärfungen zu setzen, sollten wir uns als Gesellschaft fragen: Wo haben wir präventiv versäumt zu handeln?
Unsere tägliche Arbeit mit Eltern zeigt uns: Geht’s den Eltern gut, geht’s den Kindern gut.
Eine gesunde kindliche Entwicklung braucht verlässliche Bindungen, emotionale Sicherheit und elterliche Präsenz. Doch Elternschaft ist anspruchsvoll – gerade in einem sich wandelnden gesellschaftlichen Umfeld, das hohe Anforderungen stellt. Frühzeitige, systematisch verankerte Elternbildung ist eine zentrale Antwort auf die Herausforderungen unserer Zeit.
Elternbildung wirkt. Und sie wirkt tief.
Sie fördert Bindungskompetenz, Kommunikationsfähigkeit und elterliche Selbstwirksamkeit. Sie stärkt die Eltern-Kind-Interaktion, reduziert Risikofaktoren für Gewalt und Überforderung und trägt zur psychischen Gesundheit bei – auf Seiten der Eltern wie der Kinder. Bildung in diesem Kontext ist nicht die bloße Weitergabe von Informationen, sondern ein emotionaler Transformationsprozess:
Bildung ist der Sprung von Wissen ins Herz, besonders in der Elternbildung.
Ein besonderer Fokus unserer Arbeit liegt auf der interkulturellen Elternbildung. Unsere zertifizierten Elterntrainer:innen arbeiten mit Familien aus unterschiedlichsten Herkunftskontexten und schaffen Räume für Austausch, Begegnung und gegenseitiges Verstehen. Sie fördern Integrationsprozesse dort, wo sie am wirksamsten sind – in der alltäglichen Beziehungsgestaltung zwischen Eltern und Kindern.
Doch Elternbildung kann nur wirksam sein, wenn sie früh genug ansetzt.
Unsere Erfahrungen zeigen: In vielen Familien wirken ungelöste Generationstraumata, psychosoziale Belastungen oder mangelnde Vorbilder elterlicher Fürsorge tief hinein. Es braucht oft intensive Beziehungsarbeit und traumasensibles Vorgehen, um überhaupt einen Zugang zu ermöglichen. Präventive Elternarbeit muss daher niedrigschwellig, aufsuchend, kultursensibel und bindungsorientiert gestaltet sein – lange bevor die Kinder- und Jugendhilfe eingreifen muss.
Multiprofessionelle Zusammenarbeit ist unerlässlich.
Die Bedeutung der Elternbildung geht über das Familiensystem hinaus. Eine funktionierende Bildungsbiografie ist oft an gelingende Kooperation zwischen Schule und Elternhaus geknüpft. Frühzeitige Elternbildung stärkt diese Partnerschaft, erleichtert Übergänge (z. B. in den Kindergarten oder in die Schule), entlastet Pädagog:innen und trägt zu einem konstruktiven Lernklima bei.
Wir setzen uns dafür ein, dass frühpräventive Elternbildung als zentraler Bestandteil von Bildungs-, Gesundheits- und Sozialpolitik verstanden wird.
Denn: Was heute als „Einzelfall“ erscheint, hat oft systemische Wurzeln. Die Investition in elterliche Kompetenzen – von der Schwangerschaft bis über die Schulzeit hinaus – ist der wirksamste Schutz gegen späteres Fehlverhalten, schulisches Scheitern oder psychische Erkrankungen. Frühzeitige Prävention spart langfristig immense Kosten in der Justiz, der Gesundheitsversorgung und im Bildungsbereich.
Unser Anliegen ist klar: Elternbildung muss so selbstverständlich werden wie die Geburtsvorbereitung.
Sie braucht verlässliche Strukturen, eine nachhaltige Finanzierung und politische Rückendeckung. Sie muss integraler Bestandteil von Präventionsketten sein und eng mit der Kinder- und Jugendhilfe, Bildungseinrichtungen und dem Gesundheitsbereich verzahnt werden. Denn: Nur eine Gesellschaft, die Eltern stärkt, kann Kindern echte Chancen bieten.
Wir laden Sie herzlich ein, dieses Thema journalistisch aufzugreifen.
Zeigen Sie die positiven Beispiele gelungener Elternarbeit, geben Sie der Prävention eine Bühne – und helfen Sie mit, den Blick zu weiten: weg von reiner Symptombekämpfung, hin zu wirksamen Ansätzen mit nachhaltiger Veränderung.
Für Interviews, Hintergrundinformationen oder Einblicke in unsere Arbeit stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen,
Veronika Lippert
Obfrau
ELTERNWERKSTATT