Wir waren mit Christine, der Gründerin des Projekts und Ärztin, bei einer Familie, die schon seit langem unterstützt wird. Christine hatte gehört, dass ein achtes Kind geboren wurde und wollte mit den Eltern wieder einmal über das Thema Verhütung sprechen. Wir fuhren also gemeinsam mit Mike, dem Sozialarbeiter aus Momella los, kauften bei einem kleinen Laden noch säckeweise Reis, Bohnen, Ugali (eine Art Maismehl für den traditionellen Brei) Nüsse, Tee und vieles mehr, parkten den Jeep irgendwo und marschierten dann schwer bepackt ca. 30 Minuten querfeldein zur Hütte der Familie.

Was uns dort erwartete, hat selbst Christine aus der Fassung gebracht. Die drei jüngsten Kinder, etwa zwei, vier und sechs Jahre alt, saßen allein in der Hütte auf einem Bett, das den Raum ausfüllte. Sie waren hungrig und verwahrlost, sollten die Hütte offenbar nicht verlassen, da sie auch ihre Notdurft auf dem Bett verrichteten. Der zweijährige Alpha, der einzige Sohn der Familie, war in einem sehr schlechten Zustand. Der Hungerbauch, der durch den Eiweißmangel entsteht, war bei ihm und seiner vierjährigen Schwester schon deutlich zu sehen und sein Auge war stark geschwollen und entzündet.
Christine meinte, ohne Behandlung würden diese beiden Kinder nur noch wenige Wochen überleben.

Auch Remtula, unserem immer freundlichen und fröhlichen Fahrer, stehen beim Anblick der Kleinen die Tränen in den Augen. Der Sozialarbeiter ist fassungslos, da er die Familie eigentlich schon in besseren Umständen gesehen hat.

Die mitgebrachten Lebensmittel wirken fehl am Platz, da sie sicher nicht zubereitet werden.
Ich frage mich, wie es soweit kommen kann. Armen Menschen gibt es hier natürlich viele, doch diese Mutter lässt ihre Kinder ganz allein zurück, kocht nicht für sie und sorgt auch nicht für ihre Körperpflege. Obwohl sie seit Jahren vom Projekt unterstützt wird und die älteren vier Kinder in einer Art Internat sind, schafft sie es nicht, sich um die drei jüngsten zu kümmern.

Wir warten viele Stunden auf die Rückkehr der Mutter, Christine und Mike diskutieren lautstark mit ihr über das weitere Vorgehen. Sie kommen gemeinsam zu dem Entschluss, dass die Mutter mit den Kindern am nächsten Tag abgeholt wird, sie mit den beiden Kleinen ins Krankenhaus kommt und die sechsjährige Perez ins Waisenhaus gebracht wird, wo sie auch die Schule besuchen wird.

Auf dem Rückweg gehe ich zuerst schweigend und tief betroffen neben Remtula. Nach einer Weile sagt er: „Es macht mich so wütend…sie behandelt ihre Kinder schlechter als ihre Hühner. Sie sind ihr nichts wert….“ „Warum glaubst du, ist das so?“ , frage ich ihn. „Sie kennt es nicht anders…“ ist Remtulas vielsagende Antwort. Die Mutter ist sicher kein schlechter Mensch, aber selbst so aufgewachsen. Ihre Familie wohnt weit weg und es gab niemanden, der ihr die wichtigsten Dinge in Sachen Ernährung und Pflege von Kindern gezeigt hätte. Mit der zunehmenden Kinderzahl und damit immer größer werdenden Überforderung hat sie scheinbar irgendwann aufgegeben. Der Sozialarbeiter hat zwar immer wieder einmal vorbeigeschaut, aber das ersetzt natürlich keine Vertrauensperson, die man bei all den vielen Fragen rund um das Thema Kinder einmal um Rat fragen könnte, keine Mutter, die ihr Wissen weitergibt und keine Freundin, mit der man sich austauschen könnte.

Am nächsten Tag treffen wir alle im Orphanage. Die anderen Kinder sind aufgeregt und freuen sich über den Neuzugang. Perez wirkt total zufrieden und gelöst und auch ihre vierjährige Schwester Elisabeth würde am liebsten gleich hierbleiben. Die Mutter beobachtet das erstaunt…ich habe den Eindruck, sie sieht zum ersten Mal glückliche, spielende und tobenden Kinder.

Ich denke daran, dass die Situation vielleicht zu vermeiden gewesen wäre. Hätte die Mutter vielleicht schon während der Schwangerschaft die Möglichkeit gehabt, sich auf ein Kind und die damit verbundenen Themen wie Ernährung, Pflege und Erziehung vorzubereiten, wäre es vielleicht anders gekommen. Würde es jemanden geben, den sie einfach mal um Rat fragen kann, wenn sie nicht weiter weiß, mit dem sie über Ängste und Sorgen sprechen kann oder auch einfach mal nur Erfahrungen austauschen kann…..es würde sicher helfen. Diese Mutter ist sicher kein Einzelfall….

Wie gut, dass unsere Eltern und Familien in Wien ein doch recht großes Angebot an Hilfe und Unterstützung haben. Noch besser, wenn sie das auch annehmen.

Schön, dass es die Elternwerkstatt gibt, wo jeder die Art von Hilfe und Unterstützung erhält, die gerade nötig ist. Wo Austausch mit anderen Eltern stattfinden kann und wo Familie gelebt wird.

Ihre Maria Koblicha-Rathausky

Ihre Elternwerkstatt

Elternwerkstatt - Ihr Partner in Erziehungsfragen