Wir danken Melinda Fabian-Herzog für diesen gut nachvollziehbaren Bericht. Frau Fabian-Herzog ist Mediatorin und bald auch zert.Elterntrainerin in der der Elternwerkstatt.

Viel Vergnügen beim Lesen:

Sie werden Zwillingseltern; eine Riesenveränderung? Zunächst herzlichen Glückwunsch und ja, das stimmt! Die Geburt und das Leben mit Zwillingen wirft viele Fragen auf, und zwar nicht nur für die Eltern, sondern auch im nächsten Umfeld. Eine Auseinandersetzung mit Hilfe von Fachleuten und ein Austausch über Erfahrungen können helfen, neue Perspektiven zu den verschiedenen Themen zu eröffnen, und die neue Familiensituation aktiv und positiv mitzugestalten.

„Es sind zwei!“ Dieser kurze Satz meiner Gynäkologin hat mich in der ersten Minute wie ein Blitz getroffen und in mir, ein bis dahin noch unbekanntes Gefühl ausgelöst. Im ersten Moment, war es primär eine ungeheure Überraschung und Freude und im nächsten Moment fing ich an, an alles Mögliche zu denken, was damit verbunden sein könnte – von gesundheitlichen Komplikationen bis hin über die Fragen, brauchen wir ein neues Auto, eine neue Wohnung? – und das alles auf einmal.

Nachdem man die Tatsache, Zwillinge zu erwarten, begriffen hat – von Realisierung ist man da noch eher weit entfernt – steht man immer wieder vor der Frage: „Wie wird es sein?“. (Völlig realisiert hatte ich die Tatsache Zwillingsmutter zu sein übrigens erst ein paar Wochen nach der Geburt.)

Wenngleich keine Geburt, kein Kind, kein Elternpaar, keine Familiensituation der anderen gleicht, so meine ich doch Nachfolgendes auf die Frage: „Wie wird es mit Zwillingen sein?“ antworten zu können:

„Mei, so liab! Hob´n Sie leicht Zwilling´ in der Familie?“

Viele Menschen sind unglaublich neugierig. Diese per se positive Eigenschaft veranlasst so manchen jedoch dazu, Intimes und Höchstprivates nachzufragen und ernsthaft eine Antwort zu erwarten. Die brennende Frage lautet: „sind die Zwillinge natürlich entstanden oder war künstliche Befruchtung im Spiel?“ Das Pendant der älteren, unbekannten Dame im Supermarkt vor dem Milchregal auf die Kinder im Kinderwagen zeigend, lautet: „Waren die da Absicht?“

Nach meiner Erfahrung empfiehlt es sich daher sich im Vorhinein eine Erklärung parat zu legen, am besten gleich 3: und zwar eine für den engsten Kreis der Familie und Freunde, eine für den weiteren, vertrauten Bekannten- und Freundeskreis und eine für die höflichen, neugierigen PassantInnen. Sich vorab eine entsprechende Reaktion auf distanzlose Meldungen zu überlegen, erscheint ebenfalls angebracht; man wird diese Reaktion aber definitiv nicht oft brauchen, denn Tatsache ist auch, dass die meisten Menschen Zwillinge toll finden und sehr positiv auf sie reagieren.  Auch Sie werden viel Zuspruch und Anerkennung bekommen!

Mein Tipp Nummer 1 ist also: stärken Sie Ihre Kommunikationsfähigkeiten und Ihr Verständnis für die Neugierde der Menschen! Dennoch kann ich Ihnen versichern, dass es Situationen geben wird, in denen Sie einfach nur perplex sein werden, und meinen, Sie hätten gerade nicht recht gehört.

Die anderen in derselben Situation!?

Es gibt Menschen, die gerne von anderen aus ihrem Umfeld in der vermeintlich selben Situation berichten. Damit meine ich, dass man generell als werdende Mutter öfter mit Erzählungen aus dem Umfeld konfrontiert wird, die vor allem während der Schwangerschaft belastend und verstörend sein können; angefangen von Erzählungen über schwere Geburten, über Zwillinge, die schwere gesundheitliche Probleme oder Behinderungen haben, bis über Zwillingseltern, deren Partnerschaft infolge der Überforderung mit der Zwillingssituation in die Brüche gegangen ist. Das direkte Umfeld kann in dieser Hinsicht oft schonungslos bzw. rücksichtslos sein.

Tipp 2 lautet daher: versuchen Sie sich bewusst und so gut wie möglich, von Gedanken, die Sie infolge solcher Erzählungen belasten abzugrenzen oder machen Sie – wenn möglich – gleich in der Situation Ihr Gegenüber aufmerksam, dass Sie dieses Thema bewegt und Sie daher lieber über etwas anderes sprechen würden; jedenfalls ist es wichtig, sich mit den eigenen Fragen, Ängsten und Unsicherheiten auseinanderzusetzen und gegebenenfalls auch mit Fachleuten abzuklären. Mit verständnisvollem Zuhören und Hinwendung können auch der Partner und das Umfeld helfen, dass unbegründete negative Gedanken, für die werdende Mutter nicht zu einer unnötigen Belastung werden. Versuchen Sie zuversichtlich und positiv zu bleiben, und lassen Sie sich Ihre Vorfreude nicht trüben!

Pläne abhaken  

Wenn Sie zu jenen Menschen gehören, die gerne alles im Griff haben und besonders viel auf Planbarkeit und Kontrolle geben, dann würde ich empfehlen, zu versuchen diesem Drang für die ersten paar Jahre, in denen Sie Ihr Leben mit Kindern/Zwillingen beginnen, eher weniger nachzugeben. Vielleicht hat auch die Nachricht der bevorstehenden Ankunft der Zwillinge Sie unerwartet erreicht, womit die Serie unplanbarer Dinge ihren Anfang nimmt. Die Herausforderung, die es für Planverliebte zu meistern gilt, ist es, so offen wie möglich an die gerade aktuelle Situation heranzugehen und zu versuchen, sich mit allen Optionen, die eintreten könnten anzufreunden – gerade auch mit jenen, die nicht in ihrer Hand liegen. Mit fixen Vorstellungen und Erwartungen, wie etwas sein wird oder etwas zu sein hat, tun Sie sich definitiv keinen Gefallen. Diese können, wenn sie nicht erfüllt werden, zu Enttäuschungen oder gar Konflikten führen, während man das Glück, das sich vielleicht in einer anderen, unerwarteten Form zeigt, übersieht. Als konkretes Beispiel fiele mir das Stillen ein; Sie möchten gerne Ihre Kinder stillen. Die Kinder sind geboren, aber das Stillen ist aus irgendeinem Grund nicht möglich; da ist es wichtig, dass Sie auch diese Situation ohne Frust oder gar Schuldgefühle annehmen können, und das Füttern Ihrer Kinder mit der Flasche ebenfalls als bindungsstiftend und als etwas Besonderes genießen.

Mein 3. Tipp lautet daher: verabschieden Sie sich, wenn möglich von Plänen und fixen Vorstellungen – leben Sie den Moment! Und wenn doch alles so eintritt, wie Sie es sich vorgestellt und gewünscht haben, dann freuen Sie sich umso mehr darüber.

Helferlein gesucht  

Die meisten Menschen wollen helfen. Wie man sich vorstellen kann, ist man als Zwillingseltern auf Hilfe angewiesen. Jedenfalls zu Beginn und ehrlicherweise auch danach. Das Umfeld möchte helfen und daher ist es ratsam, sich von dem Gedanken alles selbst schaffen zu müssen oder zu wollen rasch zu verabschieden. Wer weiß schon, ob die Kinder denselben Tagesrhythmus haben werden, wieviel sie am Stück schlafen usw.  Und selbst wenn die Kinder zeitgleich schlafen, bleibt noch immer genug zu tun übrig, ohne dass alle Handgriffe und Tätigkeiten benannt werden könnten. Auch bloßes Dasein ist nicht zu unterschätzen. Was viele vor der Geburt eines Kindes nicht kennen, ist die Art und Weise wie sehr man emotional gefordert ist und auch körperlich – nicht etwa intellektuell oder sportlich, wie man es bis dahin eher gewohnt war.

Einige Menschen in Ihrem Umfeld werden Ihnen ihre Hilfe anbieten. Versuchen Sie dabei zu überlegen, worum Sie die jeweilige Person realistischerweise bitten könnten – etwa, dass die Person mit den Kindern spazieren geht oder einkauft, für Sie Essen (mit)kocht, Programm mit dem älteren Geschwisterkind macht, einfach nur da ist – was auch immer.  Gleichzeitig gibt es auch Menschen, auf die Sie aktiv zugehen müssen, wenn der Bedarf besteht.

In diesem Zusammenhang erscheint es mir auch wichtig darauf hinzuweisen, dass die Aufmerksamkeit gegenüber dem Umfeld und der Partnerschaft in der Zeit der Gewöhnung an die neue Situation mit Zwillingskindern leiden kann. Dies kann dazu führen, dass man vieles vergisst oder unachtsam ist. Bitten Sie daher um Verständnis, bedanken Sie sich, äußern Sie Ihre Wertschätzung für das, was Ihnen an Hilfe und Unterstützung zu Teil wird – insbesondere auch Sie einander als Eltern – einfach immer dann, wenn es Ihnen einfällt und warten Sie nicht auf den vermeintlich richtigen Moment.

Tipp 4 lautet daher: seien Sie nicht scheu um Hilfe zu bitten! Oft ist die Phase, in der man etwas benötigt nur kurz. Egal, ob Sie um Hilfe bitten, oder sie Ihnen angeboten wird, achten Sie jedenfalls darauf, konkret zu sein, in dem was Sie brauchen und überlassen Sie es nicht den Hilfswilligen herauszufinden, was das sein könnte.

In der Familie ist 1+1+1 nicht gleich 1+2

Damit möchte ich zum Ausdruck bringen, dass die Dynamik in einer Familie, in der drei Kinder hintereinander geboren werden, eine andere ist als jene, in der ein Einzelkind Zwillingsgeschwister bekommt. Und auch für die Eltern macht es einen Unterschied, ob die Kinder einzeln nacheinander oder im Doppelpack auf die Welt kommen. Das ältere Geschwisterkind darauf vorzubereiten und es auch altersentsprechend einzubinden, verdient besonderes Augenmerk. Die Geburt von Zwillingen betrifft nicht nur Sie als Eltern, sondern auch in besonderem Maße die Geschwisterkinder.

Tipp 5: Halten Sie sich auch die Situation der Geschwisterkinder vor Augen; erschrecken Sie nicht, wenn die erste Reaktion auf die Nachricht über die neuen Geschwister vielleicht nicht euphorisch ausfällt. Seien Sie offen für deren Fragen und suchen Sie das Gespräch und die Auseinandersetzung über die sich verändernde Familiensituation. Sprechen Sie mit ihren Kindern – natürlich alters- und situationsentsprechend – auch darüber, wie es Ihnen geht und was Sie sich so alles fragen. Dabei kann es jedenfalls nicht schaden auch den Spaß nicht zu vernachlässigen, wie auch generell der Humor in verunsichernden Situationen wahre Wunder wirkt.

(Melinda Fabian-Herzog)

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